Russland

Als ausländischer Agent eingestuft: Zentrum für Opfer häuslicher Gewalt fürchtet um seine Zukunft

Seit Ende 2020 gilt die russische Anlaufstelle für Opfer häuslicher Gewalt Nasiliju.net als ausländischer Agent. Nun müssen die Mitarbeiter ihr Büro im Zentrum Moskaus räumen. Dabei häufen sich die Berichte über häusliche Gewalt seit der Corona-Pandemie.
Als ausländischer Agent eingestuft: Zentrum für Opfer häuslicher Gewalt fürchtet um seine ZukunftQuelle: Gettyimages.ru © picture alliance

Im Dezember letzten Jahres hat das russische Justizministerium das Zentrum für Opfer häuslicher Gewalt Nasiliju.net ("Nein zu Gewalt") in die Liste jener NGOs aufgenommen, die Funktionen eines ausländischen Agenten ausüben. Obwohl Frauenrechts-NGOs wie Nasiliju.net nicht explizit politischer Natur sind, betrachtet die russische Regierung ihre Unterstützung für einen Gesetzesentwurf, der häusliche Gewalt wieder unter Strafe stellen soll, als politische Aktivität.

Das Projekt Nasiliju.net wurde im Jahr 2015 ins Leben gerufen. Drei Jahre später erhielt es den Status einer autonomen gemeinnützigen Organisation. Die Organisation wurde von der Anwältin und Politikwissenschaftlerin Anna Riwina gegründet. Nasiliju.net, das sich größtenteils von Einzelspendern finanziert, bietet über eine App und ein Moskauer Hilfezentrum psychologische und juristische Unterstützung für Frauen, die in Gefahr sind.

Auf der Webseite des Zentrums findet man Informationen zum richtigen Verhalten als Gewaltopfer. Außerdem verfügt die dazugehörige App über eine "Panikknopf"-Funktion, mit der das Opfer seine Angehörigen jederzeit benachrichtigen und seinen Standort bekanntgeben kann. Wie aus einem Bericht des Zentrums hervorgeht, hat die Anlaufstelle im Jahr 2020 rund 1.300 kostenlose psychologische und 680 rechtliche Beratungen für Gewaltopfer angeboten. Dem Bericht zufolge erhielt das Zentrum im Laufe des Jahres Spenden in Höhe von über 19 Millionen Rubel (knapp 220.000 Euro).

Laut einem Gesetz aus dem Jahr 2012 können politisch aktive Personen oder Organisationen, die Gelder aus dem Ausland annehmen, als ausländische Agenten geführt werden. So gekennzeichnete Einrichtungen sind gezwungen, sich strengeren Finanzkontrollen zu unterwerfen. Das Gesetz verlange, dass gekennzeichnete NGOs die Bezeichnung "ausländischer Agent" auf ihrer Webseite und in den gedruckten Unterlagen erwähnen, was die Anlaufstelle behindere, Schilder mit Informationen darüber aufzustellen, wo Opfer Hilfe bekommen können, beklagt Riwina. 

In der Zwischenzeit kommen in Russland Meldungen über häusliche Gewalt nicht aus den Schlagzeilen. Kaum eine Woche vergeht, ohne dass es in irgendeiner Region zu Missbrauch kommt, einige Fälle enden fatal. Unter anderem sorgte im Januar ein Vorfall in der Stadt Kemerowo für Aufsehen, als eine 23-jährige Frau von ihrem Freund in der eigenen Wohnung zu Tode geprügelt wurde. Die Nachbarn, die die Hilfeschreie hörten, alarmierten mehrmals die Polizei, doch die Gesetzeshüter kamen nicht. Erst als die Geschichte aufflog, kamen die Polizisten wegen Fahrlässigkeit vor Gericht.

Menschenrechtler finden, dass der Anstieg häuslicher Gewalt in Russland unter anderem mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie zusammenhängt, nachdem Millionen von Menschen in ihren vier Wänden eingeschlossen wurden. Laut einigen NGOs habe sich die Zahl der Beschwerden in der Pandemie um das Zweieinhalbfache erhöht, sagte die Menschenrechtsbeauftragte Tatjana Moskalkowa in einem Interview mit der Agentur RIA Nowosti. Ihr zufolge waren es im März 2020 6.054 dokumentierte Fälle, im April (nachdem russlandweit der Lockdown verhängt wurde) bereits mehr als 13.000 Fälle.

Hinzu kommt, dass Russland derzeit kein spezifisches Gesetz gegen häusliche Gewalt hat. Das Land verabschiedete im Jahr 2017 ein Gesetz, das Gefängnisstrafen für Ersttäter abschafft, deren Schläge zu "geringem Schaden" führen. Falls eine Frau also nur mit blauen Flecken davonkommt, droht dem Täter in der Regel lediglich eine Geldstrafe. Frauenrechtlerinnen forderten wiederholt, die Opfer zu schützen und ein neues Gesetz zu verabschieden. Ein entsprechender Gesetzesentwurf wurde zwar im Jahr 2019 in die Staatsduma eingebracht, weitere Schritte sind aufgrund der Pandemie jedoch ins Stocken geraten.

Auch die Parlamentarierin Oxana Puschkina kritisierte wiederholt, dass viele Krisenzentren aufgrund der Pandemie vorübergehend geschlossen wurden – zum Nachteil der Opfer. Die Politikerin vertritt außerdem die Meinung, dass die Haltung der russischen Regierung zu den Frauenrechts-NGOs stark von konservativen Lobbyisten und religiösen Würdenträgern beeinflusst wird, die die Gesetzgebung gegen häusliche Gewalt als illegalen Eingriff in das private Familienleben betrachten.

Nasiliju.net sieht sich nun wachsendem Druck ausgesetzt. Riwina teilte vor Kurzem mit, der Vermieter habe sie angewiesen, das Moskauer Büro, in dem sie bisher Opfern häuslicher Gewalt Therapie und Rechtshilfe anbieten konnte, bis Ende des Monats zu räumen. "Sie haben uns im Grunde gesagt, dass unsere Aktivitäten ihnen nicht passen", schrieb Riwina Anfang des Monats auf Facebook. "Ein neues Büro für eine so große Organisation bedeutet eine Menge Geld."

Trotz der neuen Einordnung von Nasiliju.net sei die Zahl der Frauen, die bei ihr Hilfe suchen, konstant geblieben, so Riwina. "Sie verstehen, dass wir nicht in politische Aktivitäten verwickelt sind. Wir helfen ihnen direkt, und sie spüren diese Hilfe und bleiben uns dankbar. In diesem Sinne haben wir keine Schwierigkeiten", sagte sie.

Mehr zum Thema - Russland: Napoleon-Experte tötete und zerstückelte seine Ex-Studentin – zwölfeinhalb Jahre Haft

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.