Meinung

Russische Familienförderung ist "Nazi" – deutsche Medien entdecken ein neues Propaganda-Metier

Tragisch, zynisch und traurig sei alles in Putins Reich, prägen die deutschen Medien ihrem Publikum tagtäglich ein – insbesondere wenn es darum geht, mehr Kinder in die Welt zu setzen – "neue kleine Russen", wie ARTE es formuliert.
Russische Familienförderung ist "Nazi" – deutsche Medien entdecken ein neues Propaganda-MetierQuelle: Sputnik © Waleri Melnikow

Von Wladislaw Sankin

Vor einem Monat spielte sich beim deutschen öffentlich-rechtlichen Sender Phoenix eine bemerkenswerte Szene ab. Eine Talkrunde war Putins Ansprache vor der Föderalen Versammlung am 29. Februar gewidmet. Kurz nach Beginn der Sendung sagte die junge Ressortleiterin bei der Berliner Zeitung, Ljudmila Kotljarowa, folgenden Satz

"Putin hat den Fokus auf Nationalprojekte gesetzt, z. B. auf dieses Familienprojekt. Und das ist sehr tragisch und sehr zynisch, weil er die Teilnehmer der sog. Sonderoperation als neue Elite gefeiert hat und gleichzeitig auch dieses Fokus auf höhere Geburtenrate gelegt hat …"

Während sie auf die Geburtenrate zu sprechen kam, fing die Kamera das Lächeln eines anderen Russischstämmigen in der Sendung ein. Es war Wladimir Kaminer, seit mehreren Jahrzehnten der clownhafte Dauer-Talkshow-Gast und ausgewiesener Putin-Hasser. Er warf kurz ein:

"Er braucht mehr Soldaten …"

"Ja", erwiderte die junge Möchtegern-Analystin und brachte den unterbrochenen Satz zum Abschluss.  

"… einfach, damit Frauen mehr Kinder gebären. Und das ist sehr traurig und tragisch."

Der Moderator: "Wir haben dazu ein O-Ton vorbereitet (…) hören wir mal rein."

Es folgte ein kurzer Ausschnitt aus Putins Ansprache: 

"Die Unterstützung von Familien mit vielen Kindern ist unsere fundamentale moralische Entscheidung. Eine große, kinderreiche Familie muss eine Norm sein, eine Philosophie des gesellschaftlichen Lebens, eine Strategie für den gesamten Staat. (Applaus)"

Der Moderator daraufhin:

"Klingt ein bisschen nach der Bevölkerungspolitik der Nazis." 

Die Einblendung und abschließende Bemerkung des Moderators zeigte, dass der Nazi-Vergleich nicht spontan kam, sondern gewollt und vorher abgesprochen war. Allerdings wurde der Propagandaeffekt durch Anmerkung einer anderen Anwesenden, der Deutschlandfunk-Korrespondentin Gesine Dornblüth, etwas gedämpft. Sie deutete an, dass die Geburtenförderung der russischen Regierung nicht unbedingt mit der Sonderoperation in der Ukraine zu tun hat, weil diese schon "ein bisschen älter" sei. Dazu: Im Jahr 2007 wurde das sogenannte "Mutterschaftskapital" eingeführt und vielen Frauen, primär aus einkommensschwachen Familien, durch finanzielle Unterstützung die Entscheidung für Kinder erleichtert. 

Mit dem Hinweis auf die massive Erhöhung von Kindergeld belegte die sonst entschiedene Russland-Kritikerin fairerweise den fundamentalen Charakter der russischen Familienpolitik, die nichts anderes ist als der ständige Kampf gegen das Damoklesschwert der drohenden Bevölkerungsschrumpfung in dem ohnehin extrem dünn besiedelten Land. Seit mehreren Jahren ist Russland wieder in einem demografischen Loch angekommen, weil die in den extrem geburtenschwachen 1990er-Jahren geborenen Frauen das gebärfähige Alter erreicht haben. 

In den 1990er-Jahren war die Sterblichkeitsrate 1,5-mal höher als die Geburtenrate, was laut Bevölkerungsforschern eine für Friedenszeiten weltweit noch nie dagewesene Situation war. Doch, nicht nur Bandenkriege, extreme Armut und trübe Zukunftsperspektiven nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion waren dafür die Ursachen.   

Die Zahl der Geburten in Russland ging schon nach 1987 stark zurück, was weitgehend durch den Geburtenrückgang in den 1960er-Jahren vorprogrammiert gewesen ist. Dies war die zweite Welle des "Echos des Krieges". In den 1960er-Jahren wurden die Kinder der Kriegsgeneration geboren, und sie waren nur wenige. In den 1990er-Jahren, als sie selbst Eltern wurden, wurden deshalb auch nur wenige Kinder geboren. 

Laut russischer Statistikbehörde verlor die russische sowjetische Teilrepublik RSFSR während des Großen Vaterländischen Krieges 13,4 Millionen Menschen und wenn man die ungeborenen Kinder mitzählt (gesamte demografische Verluste) waren es 19,8 Millionen Menschen. Das sind katastrophale, geradezu genozidale demografische Verluste, deren Nachwirkungen bis heute andauern. 

Verantwortlich dafür war und ist Nazi-Deutschland, das die UdSSR am frühen Morgen am 22. Juni 1941 an ihrer gesamten westlichen Grenze heimtückisch überfallen hat. Offenbar liegt es an der ausgebliebenen Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen gegenüber Russland in der heutigen Bundesrepublik, wenn Vertreter der staatlichen Medien über die heutige russische Kinder- und Geburtenförderung derart ätzen. Russland versucht, die auch von den Deutschen mitverursachte demografische Misere mit einem Appell an konservative Familienwerte zu überwinden, und die deutschen Kommentatoren äußern sich nicht einfach nur zynisch, sondern diskreditieren obendrauf noch mit der Nutzung des Begriffes "Nazi".

Verrückt? Oder einfach nur russophob? Meiner Meinung nach, spielt hier subtiler, nicht überwundener antirussischer Rassismus eine Rolle. Denn die Diffamierung der russischen Familienpolitik, die das Ziel hat, mehr Kinder in die Welt zu setzen, hat System. Das belegt ein weiteres "Produkt" des deutschen öffentlich-rechtlichen "Qualitätsfernsehens" – die ARTE-Reportage "Russland: Frauen sollen gebären". Für das Video wirbt ARTE mit dem tendenziös überschriebenen Thumbnail "Kinder für den Staat". 

In der Reportage werden angeblich leidende, abtreibungswillige Frauen der russischen konservativen Familienpolitik gegenübergestellt, die die Möglichkeit für Abtreibung immer mehr einschränkt. Als eine Vorzeigeklinik im nördlichen Karelien zu sehen ist, fällt der folgende Satz:

"Das Perinatalzentrum in Petrosawodsk ist Aushängeschild des Gesundheitsministeriums. Alles ist neu, für neue kleine Russen". 

Der kritische Unterton dieser Reportage, der die russische Familienpolitik infrage stellt, treibt fast zwangsläufig zu einer Gegenfrage: Warum ist die Zahl der "neuen kleinen Russen" für die deutschen Medienmacher eigentlich wichtig? Fühlen sie sich von ihr gestört? Ist ihnen etwa eine sinkende Zahl der "Russen" lieber wie etwa in den hierzulande als "Jahre der Demokratie und Meinungsfreiheit" gepriesenen 1990ern, als sie so dramatisch am Sinken war? Ein YouTube-Kommentar in russischer Sprache ist an den Sender gerichtet:

"Warum interessiert ihr euch für unsere demografischen Daten? Kümmert euch um euren eigenen Kram und haltet euch aus unseren Angelegenheiten heraus. Und denkt an die 27 Millionen Einwohner der Sowjetunion, die durch die deutsche Aggression gestorben sind. Wir werden euch das nicht vergessen."

Natürlich, der deutsch-französische Sender verlor kein Wort vom demografischen Echo des Krieges. Warum denn auch? Heute scheint es fast so, dass die Deutschen in diesem riesigen Land im Osten gerne jemanden anderen vorfinden würden als "Russen". Offenbar gehören diese wieder zum unwerten Leben – dieses Mal als "Nazis". Unzählige Hasstiraden und Nazi-Vergleiche in den restlichen zweitausend Kommentaren unter dem ARTE-Video sind jedenfalls ein guter Beleg dafür, dass der erhoffter Propagandaeffekt durchaus erfolgreich war.  

Mehr zum ThemaFast wie bei Goebbels – Kriegspropaganda bei Berliner Musikfestival

RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.