Meinung

Bodo, der Zweitwichtigste, oder: Die Arroganz der Macht auf antirussischem Kriegspfad

Waffenlieferungen an die Ukraine – gegen Russland, Unverständnis für die besonderen Interessen und die Befindlichkeit vieler Ostdeutscher, die üblichen Plattheiten gegen Sahra Wagenknecht: Bodo Ramelow hat nichts zu sagen, was die LINKE von den anderen etablierten Parteien unterscheiden würde.
Bodo, der Zweitwichtigste, oder: Die Arroganz der Macht auf antirussischem KriegspfadQuelle: AFP © John MACDOUGALL / AFP

                                                                   "Uns imponieren schrecklich die enormen

                                                                 Zigarren, Autos und die Umgangsformen –

                                                                     Man ist ja schließlich doch kein Nihilist."

                                                                                                       – Kurt Tucholsky

Von Mirko Lehmann

Die Süddeutsche Zeitung hat ein Interview mit dem Ministerpräsidenten von Thüringen geführt, was sogleich vom Spiegel beworben wurde. Bodo Ramelow (Die Linke) gibt darin einen Einblick in das Selbst- und Politikverständnis eines Gewerkschaftsfunktionärs, der es geschafft hat: nach ganz oben. Jedenfalls so weit das für einen braven Linken möglich ist. Die eigentlichen Themen des Gesprächs sind zweitrangig: Was Ramelow zum Besten gibt, ist Konfektionsware von der Stange.

Unangenehm fällt während des gesamten Interviews die streberhafte Selbstgefälligkeit auf, gepaart mit ausgesprochener Dünnhäutigkeit gegenüber Nachfragen. So richtig souverän wirkt der Mann aus dem niedersächsischen Osterholz-Scharmbeck, der gern den Landesvater Thüringens gibt, nicht.

Im Gefolge der "Giftzwerge"

Eigentlich nur ein Provinzpolitiker, zu dem er freilich erst in Thüringen als Westimport geworden ist – sonst würde er wohl noch im hessischen Gewerkschaftsapparat seine Runden drehen–, sonnt sich Ramelow in seiner Bedeutung auf Staatsbesuch in Warschau: Als Präsident des Bundesrates sei er schließlich die Nummer zwei im Staate, noch vor dem Bundeskanzler, belehrt er die SZ-Redakteure. Seine vor kurzem zu Ende gegangene Bundesratspräsidentschaft habe er unter das Thema "Osteuropa" stellen wollen, heißt es. In Warschau traf er sich mit seinem polnischen Gegenpart – mit dem Ramelow sich in der antirussischen Haltung einig weiß. Kein Wunder, übernimmt Ramelow doch völlig unreflektiert die transatlantischen Positionen der polnischen Elite – und der baltischen "NATO-Giftzwerge" (Rainer Rupp). Deren hochgradig ideologisch bestimmtes Geschichtsbild mündet in die Gleichsetzung des europäischen Sozialismus und der (Stalinschen) Sowjetunion mit dem deutschen Faschismus nach Art der Totalitarismustheorie.

Ramelow macht sich diese einseitige, ahistorische Sicht umstandslos zu eigen, wenn er über "Osteuropa" spricht. Dabei nimmt er für sich in Anspruch, in der Nachfolge Hans-Dietrich Genschers zu stehen. Wozu zu sagen wäre: ohne dessen diplomatisches Geschick, jedoch mit derselben Agenda, eben Regime-Change im Osten. Nicht nur, dass Ramelow zugibt, er habe die "Ost-West-Trennung im Hinterkopf". Er lässt auch erkennen, welch paternalistisches, wenn nicht kolonialistisches Verhältnis (Thüringen lässt grüßen) er allemal zu den Ländern Osteuropas pflegt: Die "Regionen", wie er sie nennt, müssten Teil der "europäischen Gesamtarchitektur werden", weil sonst "Europa scheitern" würde. Von der notorischen Verwechslung Europas mit EU, die auch dieser Linkspolitiker reproduziert, nicht zu reden.

Linker Anti-Russland-Krieger

Auf einem noch höheren Ross sitzt der thüringische Landeschef, wenn er über Russland redet. Da will er angeblich "mit Russland klarkommen", doch stellt Bedingungen: "Demokratisierung, Stabilisierung und Zivilisierung". Offenkundig liegen dieser unreflektierten Haltung oft genug untersuchte, jahrhundertealte russophobe Stereotype und schiere westliche Arroganz zugrunde. Das ist sie wohl, die von ihm selbst erwähnte Trennlinie im Hinterkopf.

Letztlich unterscheidet sich Ramelow nur graduell in der Wortwahl, nicht aber in der Intention von der FDP-Rüstungslobbyistin und Bundestagsabgeordneten Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Auch Ramelow will die Ukraine gegen Russland weiter aufrüsten und damit den Krieg gegen Russland am Dnjepr führen. Offenkundig bis zum letzten Ukrainer, kein Wort von Friedensinitiativen. Konsequenterweise hält Ramelow die mühsam etablierten "Dialogformate" mit Moskau für obsolet – passend zum angekündigten Ende des Petersburger Dialogs. Die deutsche Selbstermächtigung, in den Ukraine-Krieg durch Waffenlieferung und Ausbildung – und damit als Kriegspartei – einzugreifen, geht auch bei Ramelow mit der Projektion einher, Russland führe "seinen Krieg auch in Deutschland an der Tankstelle, beim Strom- beziehungsweise Gaspreis und auch an jedem Montag hier in Thüringen."

So klingen sonst nur die platten Handreichungen des Verfassungsschutzes zur Markierung von Freund und Feind. Die Proteste im Osten Deutschlands gegen die Wirtschafts- und Kriegspolitik des Bundes und er Länder gelten Ramelow nicht nur als regierungs-, sondern als "systemkritisch". Systemkritik ist demnach nicht mehr erlaubt. Was hier der angeblich zeitweilig "zweite Mann im Staate" behauptet, erinnert an die von den Repressionsbehörden neu geschaffene, dennoch unbestimmte Gummi-Kategorie "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates". Die etablierte Politik scheint dieser vermeintlichen Delegitimierung unbedingt Vorschub leisten zu wollen, wie Ramelow demonstriert.

Oberflächlich und inkompetent

Zurück zur antirussischen Politik: Mehr Unkenntnis und Verdrehung, auch in chronologischer Hinsicht, sind fast nicht möglich. Ramelow liegt also ganz auf Regierungslinie der Berliner "Ampel" und zeigt sich blamabel schlecht informiert, was die antirussische Sanktionspolitik, nicht nur gegen Nord Stream, und deren Folgen betrifft. Firm dagegen ist Ramelow in der Wiedergabe antirussischer Propaganda und reagiert ausgesprochen kurz angebunden, wenn er sogar von der SZ darauf angesprochen wird, dass die Sanktionen Deutschland mehr schaden als der russischen Seite, wie von Sahra Wagenknecht seit Monaten unterstrichen wird. Doch von den selbstzerstörerischen Konsequenzen der Sanktionitis für die deutsche und die anderen EU-Volkswirtschaften scheint er keinen Schimmer zu haben. Geschweige von den unterbrochenen Rohstoffströmen und Lieferketten oder den Folgen für Gewerbe und Industrie auch seines eigenen Bundeslandes. Dafür wartet Ramelow mit Raubritter-Phantasien auf, die direkt US-amerikanischen Denkfabriken entstammen könnten: Russische "Vermögenswerte und vor allem Geschäftsanteile der Oligarchen – einschließlich Bargeldvermögen" sollen "einkassiert" werden. Damit liegt Ramelow zwar auf der wohlfeilen Linie transatlantischer Moral und der massenmedial vermittelten Emotionalisierung und Personalisierung ("Druck auf Putin und die Kleptokratie"), doch Empörung ersetzt keine volkswirtschaftliche, völkerrechtliche oder geopolitische Kompetenz. Vielmehr zeigt sich in seiner demonstativen Abscheu vor Russland ein spezifisch deutscher, geschichtsvergessener Irrationalismus.

In diesem selbstgefälligen Ton geht es in einem fort, ob gegen die undankbaren Ostdeutschen, innerparteiliche Widersacher, bei der Verunglimpfung von AfD-Wählern ("faschistische Partei") oder auch von Kritikern der mRNA-Injektionen. Ramelow hangelt sich von einer neoliberalen Sprechblase ("demografische Falle") über die nächste klischeehafte Beschimpfung ("faschistoide Suppe") zur Anbiederung an die Bundeswehr ("Fahnenband des Freistaates Thüringen überreicht"). Natürlich fordert er – wohl nicht zufällig wie der Bundespräsident – für die gegenwärtigen Kriegszeiten "ein soziales gesellschaftliches Jahr aller Menschen in unserem Land".

Provinzialismus, Borniertheit, gepaart mit Selbstüberschätzung und realitätsfernem Wahn, scheinen in der deutschen Politik immer neue Tiefpunkte zu erreichen. Und in der Tat: Bodo Ramelow ist angekommen. Mit seinem Interview scheint er die Analyse Scott Ritters von der Dummheit deutscher Politik bestätigen zu wollen.

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Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.