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"Schwachsinn reden" – darf man das in Wokistan? Zum neuen Roman von Juli Zeh und Simon Urban

Die Bestseller-Autorin Juli Zeh hat – zusammen mit ihrem Schriftstellerkollegen Simon Urban – einen neuen Roman geschrieben: "Zwischen Welten". Der erscheint zwar erst am 25. Januar, aber schon jetzt erregen sich die Gemüter. Um die literarischen Qualitäten geht es dabei jedoch nicht.
"Schwachsinn reden" – darf man das in Wokistan? Zum neuen Roman von Juli Zeh und Simon UrbanQuelle: Gettyimages.ru © P/F/H/ullstein bild via Getty Images

Die deutsche Juristin und Schriftstellerin Juli Zeh (48) und ihr gleichaltriger Kollege Simon Urban haben zum ersten Mal gemeinsam einen Roman verfasst. "Zwischen Welten", in der Tradition des Briefromans geschrieben, greift formal die neuen Kurztextformate aus Messenger-Diensten wie WhatsApp und E-Mails auf. Inhaltlich dreht sich die Geschichte um politisch-ideologische Spaltungen in der Gesellschaft, wie sie sich von der Flüchtlingskrise bis zum Krieg in der Ukraine entzündet haben.

Die Spannung zwischen den beiden fiktiven Hauptfiguren wird bereits durch die denkbar unterschiedlichen Milieus erzeugt, in denen sie angesiedelt sind: Der eine, Stefan Jordan, ist Feuilletonchef einer großen Hamburger Wochenzeitung, die andere, Theresa Kallis, eine Öko-Bäuerin aus einem fiktiven brandenburgischen Dorf.

Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) hat nun mit den beiden Autoren gesprochen, und seit Erscheinen des Interviews mit Zeh und Urban tobt der Sturm im Wasserglas, das heißt in der Twitter-Blase. Denn laut NZZ erscheint der Journalist Jordan – und dies zum Missfallen vieler offenkundig aktivistischer Kommentatoren – als "Inkarnation, wenn nicht sogar [als] die Karikatur der Political Correctness", die reichlich unsympathisch dargestellt wird (als "größter Kotzbrocken in der neueren deutschen Literaturgeschichte"). Damit ist der Inhalt benannt, um den es im Roman geht. Oder wie Juli Zeh es ausdrückt:

"Wir wollten vor allem zeigen, wie die Kommunikationsverwerfungen entstehen, die wir ja wohl alle in unserer Gesellschaft beobachten: den hohen Meinungsdruck, die Polarisierung, die Notwendigkeit, darauf zu achten, was man sagt."

Das Echo, das der neue Roman in den Sozialen Medien noch vor seinem Erscheinen erzeugt, scheint Juli Zeh und Simon Urban recht zu geben. Die Autoren werden dafür angegangen, dass und vor allem wie sie auf die Unmöglichkeit eines Dialogs zwischen den verfeindeten Lagern literarisch aufmerksam machen. Zwar gebe es ähnliche Blockaden auch in anderen Ländern – Zeh verweist auf die USA mit Trump und den Brexit in Großbritannien –, doch hätte sich in Deutschland die verhärtete Stimmung erst seit der Flüchtlingspolitik unter Merkel seit 2015 herausgebildet. Urban konstatiert, dass wie in der Migrationsfrage auch in der Corona-Krise der Meinungskorridor verengt wurde:

"Wie 2015 gab es auch 2020/21 eine vorherrschende Meinung. Und wer sich der nicht anpassen wollte, konnte Probleme bekommen."

Der Roman behandelt also das Problem des Mainstreams oder vielmehr das Abweichen von der Mehrheitsmeinung und Unterdrücken von Unliebsamen, neudeutsch: Political Correctness und Cancel Culture. Aber sogar im Vergleich zur Kritik an der Klima-Politik oder den Corona-Maßnahmen sei es im Falle des Ukraine-Krieges "jetzt noch einmal schlimmer" geworden, meint Zeh. Die Schriftstellerin, die SPD-Mitglied ist und derzeit als promovierte Juristin auch Mitglied des Brandenburgischen Verfassungsgerichts, hatte einen Offenen Brief an den Bundeskanzler unterzeichnet, in dem eine deeskalierende und auf Verhandlungen setzende deutsche Ukraine-Politik eingefordert wurde. Dafür seien einiger Unterzeichner "in einer Heftigkeit angegriffen [worden] – Holla, die Waldfee! Das war in der Diktion schlimmer als jede Corona-Auseinandersetzung", so Zeh.

Doch von der Cancel-Unkultur – die hier eingestreuten Tweets mögen als Beispiele dienen – lassen sich Zeh und Urban nach eigenem Bekunden nicht beeindrucken. Das sei ihnen "egal". Mit ihrem neuen Buch wollten sie "für Differenzierung [...], für perspektivische Vielfalt, für Pluralismus, für die Ambivalenz und Vielschichtigkeit der Literatur" eintreten. Bleibt also abzuwarten, welche literarischen Qualitäten, über das zu begrüßende zeitdiagnostische und kommunikationstherapeutische Anliegen hinausgehend, dem Roman zugestanden werden, und ob er außer von bürgerlichen Stimmen wie der NZZ oder Julian Reichelt auch im sich selbst links begreifenden Spektrum positiv aufgenommen wird.

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